Gaël Faye (2016): Kleines Land. München: Piper.

Cover des Buches

(c) Piper Verlag

Für wex zum Lesen zu empfehlen?
Für Menschen, die poetische Geschichten zu in Europa wenig erzählten Geschichten mögen. Die Geschichten vom Aufwachsen, Freund*innenschaften, Familienbindungen in kriegerischen und Rassismus durchtränkten politischen Situationen lesen wollen und etwas über die Geschichte von Burundi, Ruanda und Frankreich aus Sicht eines Kindes, Jugendlichen und später Erwachsenen erfahren wollen. Menschen, die Zusammenhänge zwischen rassistischen Einlesungen, Leben im Krieg und den vielfältigen Auswirkungen auf ein individuelles Leben lernen möchten.

Der Roman erzählt die Geschichte eines Jungen in Burundi aus dessen Sicht und sein Aufwachsen mit seiner ruandischen Mutter und dem französischen Vater sowie, entfernter, mit der Schwester.  Der Roman erzählt von dem Älterwerden und Verstehen-Lernen von Gewaltstrukturen und wie sie sich in das eigene Leben und Erleben einschreiben: rassifizierte Kategorisierungen, ‚Lösungs’ansätze, die auf Vernichtung und Krieg hinauslaufen oder diese auch im Kleinen re_produzieren. Als lesende Person werde ich mitgenommen in das langsame Verstehen der Unausweichlichkeit von rassistischer, staatlicher Gewalt, den Ideen von Hass, Krieg, Eroberung, Rache und Sühne und wie schwierig oder gar unausweichlich es ist, auch selbst gewaltvolle Entscheidungen in Situationen zu treffen, die keine anderen Möglichkeiten mehr eröffnen.

Ziemlich zu Beginn bereits wird die Recht- und Gewalt-Frage gestellt und dann immer wieder: Habe ich, als teilprivilegierter Junge, der ein Rad vom reichen Vater geschenkt bekommen hat, das Recht, dieses zurückzufordern in einer Situation, in der es deutlich wird, wie stark genau dieses Recht strukturelle, klassistische Diskriminierung nicht mit berücksichtigt, sondern sie genau dadurch re_produziert? Der Roman stellt viele Fragen dazu, wie ein Leben möglich ist in Strukturen, die so gewalt-durchtränkt sind, dass sie nichts anderes mehr eröffnen oder zu ermöglichen erscheinen. Das Ende des Romans kehrt an den Beginn zurück und fragt wann und wie das eigentlich alles begonnen hat, das Gewalthafte, welches nicht mehr zu durchbrechen scheint.

Was sonst noch?
Das Buch blüht auch von Liebe zu Literatur. Ein berührendes Kapitel ist dem Kennenlernen von der Schönheit von Literatur gewidmet. Die vielfältigen Genres in dem Roman – Gespräche mit den Eltern, Briefe an eine unbekannte französische Brieffreundin, Kontakte mit Gleichaltrigen, Familienangehörigen und einer lesenden Nachbarin – in ihren eigenen Stilen erzählt, machen den Roman zu einem berührenden Leseerlebnis.
Es ist einer dieser Romane, nach dem es nicht einfach ist einen weiteren Roman zu beginnen – so stark wirkt das Lesen und wirkt es nach.
Der Roman eröffnet für mich als weiße, in Europa aufgewachsene Person eine wichtige Relativierung von Fragen, die ich selbst zu Familie habe und auch immer wieder normalisiere – da sie durch die Situationen, die hier erzählt werden, diese noch mal neu relativieren und kontextualisieren.
Ich bin sehr dankbar diesen Roman gelesen zu haben und empfehle ihn unbedingt zum Lesen!

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